Zwischen Game und offener Feldschlacht

„Früher begann der Tag mit einer Schusswunde.“ Das ist ein Buchtitel von Wolf Wondratschek, den ich seit meiner Zeit im Antiquariat damals kenne, also lange schon. Ich habe das Buch nie gelesen, wenn ich mich richtig erinnere. Ich habe es immer nur von Regal zu Regal verräumt, das aber oft. Und es fällt mir auch... Der Beitrag Zwischen Game und offener Feldschlacht erschien zuerst auf Buddenbohm & Söhne.

Jan 14, 2025 - 15:04
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Zwischen Game und offener Feldschlacht

Früher begann der Tag mit einer Schusswunde.“ Das ist ein Buchtitel von Wolf Wondratschek, den ich seit meiner Zeit im Antiquariat damals kenne, also lange schon. Ich habe das Buch nie gelesen, wenn ich mich richtig erinnere. Ich habe es immer nur von Regal zu Regal verräumt, das aber oft. Und es fällt mir auch nur gerade ein, weil der Montagmorgen damit begann, dass ich von Russland angegriffen wurde.

Über achtzig Spam-Kommentare mit Verweis auf russische Seiten in nur einer halben Stunde hagelten hier herein. Bin ich auf einmal ein interessantes Ziel oder was.

Egal. Stoisch alles weglöschen. Eine repetitive Beschäftigung für die Finger ist das, ein wenig wie Stricken. Nur nicht so konstruktiv, am Ende hat man keinen warmen Pullover, nur eine aufgeräumte Seite. Oder immerhin eine aufgeräumte Seite. Und noch während ich löschte, brandete schon die nächste Welle heran, es begann sogar, mir zu gefallen. Es war irgendwas zwischen Game und offener Feldschlacht, und noch gewann ich immerhin. Kein Kommentar erschien öffentlich.

Ein Erfolg, ein Erfolg, und das am Montagmorgen. Immer das Gute beachten, ich sage es ja. Ich suchte mir passende Musik dazu heraus, denn stimmige Soundtracks sind mir bei allem wichtig. Ich löschte den letzten Spam-Kommentar der Welle, startete das Home-Office und stieg auf den Bürostuhl wie ein Cowboy auf das Pferd vor dem Saloon. Und ich rollte lässig in die endlose Weite der Excel-Welt.

Nachtrag: Direkt nach diesem Notat sah ich kurz in die lokalen Nachrichten, und es verwundert den Freundeskreis Fiktion und Realität nur begrenzt, dass gleich um die Ecke, zwei Gehminuten vielleicht entfernt von mir, in dieser Nacht ein Mann angeschossen wurde. So etwas wie Bandenkrieg, nimmt man an. Der mutmaßliche Täter war erst 15 Jahre alt.

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Am Wochenende gesehen: Berit Glanz empfahl eine ARD-Doku, an der sie auch beteiligt war. Es geht um Influencerinnen auf Island, um den Tourismus dort und seine Folgen, um eskalierende Selbstinszenierungen. In der Sendung werden sich für Instagram oder Tiktok inszenierende Influencerinnen fürs deutsche Fernsehen inszeniert, während sich die Einheimischen aus dem Bild verdrücken.

Wir leben in einer fortgeschritten verrückten Welt, aber das wird Ihnen mittlerweile auch bereits aufgefallen sein.

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Am Wochenende gelesen: Ein Buch aus dem öffentlichen Bücherschrank, eine der zufälligen Zuteilungen also. Ich werde da weiter recht anspruchsvoll versorgt, erstaunlich gut eingerichtet ist das, es gibt keinen Mangel an Nachschub. Heinrich Böll: „Und sagte kein einziges Wort.“ Ein Roman aus der stark katholisch geprägten Nachkriegszeit im Rheinland.

Mir ist das vollkommen fremd, was da gut nachvollziehbar geschildert wird, aber ich weiß, dass meine Mutter aus dieser Zeit, aus dieser Gegend und auch aus so einer Szenerie stammt. Ich habe also Überlieferungsverbindungen in dieses Romangeschehen hinein, wie fern es von meinem eigenen Erleben auch ist.

Und die bis heute deutlich nachglühende Aversion meiner Mutter gegen diese Kirche ihrer Kindheit, sie lässt sich aus solchen Büchern vollkommen mühelos ableiten.

Das Buch war allerdings schmal und nicht tagesfüllend. Danach las ich noch etwas Alice Munro, den Band Liebes Leben (ein Leserinnengeschenk), Deutsch von Heidi Zerning. Hervorragende Geschichten, aber das erwartet man bei Munro auch nicht anders.

Es war gut, lange gelesen zu haben. Es war gut, Bücher gelesen zu haben, das hatte noch einen deutlichen Bezug zu meinem gestrigen Text. Vor der langen Internet-Phase habe ich mehr Bücher gelesen, wie so viele von uns. Vielleicht werde ich wieder mehr und vor allem länger Bücher lesen.

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Am Montagnachmittag brachte ich meiner Mutter noch Lebensmittel vorbei. Bei starker Kälte und Eis auf den Wegen sollte sie nicht mehr rausgehen. Sie sah mich aus der Kälte hereinkommen, sie sagte: „Kind, mach die Jacke zu.“

Auf einmal wieder jung sein, sogar Kind sein. Wieder unachtsam und unvernünftig sein. Alles Erwachsene hinter sich lassen, den ganzen Ballast der so mühsam erlernten Vernunft, doch wieder wild und gefährlich leben. That was easy!

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Im Bild der Rathausmarkt. So sieht das bei uns aus, wenn Weihnachten abgewickelt wurde. Und da ist er also, der Platz für Neues.

Der Hamburger Rathausmarkt. leer im Wintersonnenlicht und im Weitwinkel

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